„Ich habe mir gestern viermal das Leben genommen“, sagte neulich jemand in der U-Bahn zu seinem Gesprächspartner. Er erklärte sich weiter, dass selbstverständlich nicht sein reales Leben zu Ende sei, wohl aber einige seiner Identitäten im Internet. Benutzerprofile bei diversen Onlineangeboten habe er seit geraumer Zeit nicht mehr verwendet und daher diese Leben, wie er sie nannte, gnadenlos ausgelöscht.
Multiple Online-Identitäten
Die meisten Menschen sind sich beim Gebrauch des Internets nicht bewusst, dass sich dabei mehr denn je Fragen der Philosophie stellen. Als wenn die Sinnfrage in Hinblick auf sein Leben in der realen Welt nicht bereits ausreichend komplex wäre, gilt es, sich zu Zeiten von Facebook, Xing, Amazon und Co. nun auch noch all seiner multiplen Online-Identitäten bewusst zu werden und diese zu hegen, pflegen und auch mal auszulöschen.
Wer bin ich im Kontext zu anderen?
Online-philosophisch gleichlautend gefragt: Wer bin ich? Und was nützt mir dieses Wissen, wenn ich es nicht im Kontext zu anderen leben kann?
Die Entscheidung, mit wie vielen Leben man im Web unterwegs ist, liegt nicht immer bei einem selbst. Hier Profile für diverse Online-Shops, dort Profile für verschiedene Beitragsforen und ein weiteres als Mitglied eines Online Business Netzwerks. Über allen Profilen schwebt dann noch das Facebook- oder Instagramm-Wesen, welches gerade junge Menschen in der Tat regelrecht leben.
Partizipative Strukturen
Anders als beim Fernsehprogramm ist das Internet in der Lage, den Benutzer aus seiner rein passiv konsumierenden Rolle heraus in die partizipativen Strukturen des interaktiven Webs zu befördern. Jeder kann heute mit einfachen Mitteln der community sein Online-Leben darstellen und präsentieren. Doch ohne Abgrenzung was der einzelne nicht ist, geht er im Sumpf gleichartiger Überinformationen unter. Philosophisch ausgedrückt: Er ist und bleibt der einzige, der weiß, wer und was er ist.
Echtzeit Anknüpfpunkte
Gelebte Online-Profile sind weit mehr als nur Benutzerprofile: Kaum eine Aktivität, Stimmung oder ein Verhalten, welches nicht anderen mitgeteilt werden kann und wo auch der Datenschutz eine erhebliche Rolle spielt. All dies sind Anknüpfpunkte, um sie mit anderen Menschen in Echtzeit abzugleichen. Segen und Fluch zugleich. Denn In der realen Welt ist ein derlei Abgleich in Echtzeit mit allen völlig ausgeschlossen. Eindeutig ein nicht einzuholender Geschwindigkeitsvorteil. Viele der Anknüpfpunkte sind jedoch Informationen, die bestenfalls einen gewissen Unterhaltungswert haben. Einige, die schlichtweg niemand braucht. Die ohne Wunsch und Wille an einen herangetragen werden. Und oftmals nur wenige, die einen echten Nutzen und Mehrwert für den Empfänger darstellen.
Kommunikative Elite
Um seiner Internet-Identität in diesem Online-Dschungel ein authentisches Profil zu bescheren, also von denen gefunden zu werden, die eine tatsächliche Notwendigkeit darin sehen, ist Online-Marketing ein regelrechter Nährboden für Online-Philosophie: Befördert sie doch Sender und Empfänger in den exklusiven Kreis einer sinnerfüllend kommunikativen Elite.
Sich definieren und gefunden werden
So besteht die Herausforderung darin, verstärkt Andockstellen zu definieren, die bei Suchanfragen unmissverständlich annonciert werden. Vertrauenswürdige Verlinkungen laden zum Einstieg in einen ernst gemeinten Online-Dialog ein. Egal ob auf repräsentativen Unternehmenswebseiten, dynamischen Verkaufsportalen oder beim privaten Austausch von Interessen. Niemand möchte seine Zeit damit verbringen, in all dem Online-Rauschen das heraus zu filtern, was er tatsächlich sucht.