Spirituelle Praktiken wie Gebet, Ritual und Pilgerreisen sind gemeinsame Elemente aller großen Religionen. Diese drei und vier weitere stellt Rupert Sheldrake in seinem neuen Buch „Die Wiederentdeckung der Spiritualität“ vor – und geht daran, sie wissenschaftlich zu erklären. Sein Anliegen ist dabei, darzustellen, dass Religion und spirituelle Erfahrung nicht überholt sind und dass sie von der Naturwissenschaft nicht ignoriert werden können. Doch bleibt Rupert Sheldrake nicht bei der Wissenschaft stehen: dieses Buch ist auch sein bisher persönlichstes.
Im Vorwort gibt der Verfasser einen autobiographischen Überblick. Geprägt durch seinen Vater, einen kräuterkundigen Apotheker, und die spirituelle Heimat seiner Familie im methodistischen Glauben, einer besonderen Form des Protestantismus, wollte Rupert Sheldrake, der Tiere liebte, Biologie studieren. Vor dem Studium war Sheldrake Praktikant in einem pharmazeutischen Labor – und er wusste nicht, dass es dabei um Tierexperimente ging. „Aber dann arbeitete ich in einer Art Todeslager“, beschreibt er sein Entsetzen. Das Lebendige zu töten, um es zu verstehen – das schien nicht nur in diesem Labor, sondern auch später im Studium der Biologie die stillschweigende Maxime zu sein. Und obwohl Rupert Sheldrake vieles tat, um ein beinharter Materialist zu werden, was er als die Grundlage für Wissenschaftlichkeit ansah, vermochte er nicht, sich in diese Welt einzufügen. Er studierte daher Pflanzenbiologie. Das brachte ihn letztlich zu seiner Theorie der morphogenetischen Felder. In Indien, wo er jahrelang als Forscher arbeitete, lernte Sheldrake eine andere Form von Spiritualität kennen als jene, in der er aufgewachsen war und von der er sich später abgewandt hatte. Meditation sollte künftig zu einer tragenden Säule seiner persönlichen Spiritualität werden. Durch sie und den Kontakt mit dem Hinduismus bekam er einen neuen Zugang zu seiner christlichen Prägung.
Von seinen eigenen Erfahrungen her beleuchtet Rupert Sheldrake sieben Prinzipien der Spiritualität, die es überall auf der Welt gibt. Mit seinem Buch möchte er den Menschen zeigen, dass es möglich ist, Verbindung aufzunehmen mit einem weit größeren Bewusstsein, einer – wie er es beschreibt – „mehr-als-menschlichen Wirklichkeit“. Das Universum ist für ihn ein lebendiger Organismus. Damit befindet Sheldrake sich in bester Gesellschaft: bereits im 18. Jahrhundert hat der schottische Philosoph David Hume – wohlweislich posthum – ein Buch veröffentlichen lassen, das genau diesen Gedanken entfaltet. Auch seine Leser möchte Rupert Sheldrake mit dieser Sicht der Welt vertraut machen. Er spekuliert sogar, ob die Sonne ein Bewusstsein hat, ob Galaxien ein Bewusstsein haben und ebenso das unendlich Kleine, die Atome. Denkt man diese Gedanken weiter, wäre deren logische Konsequenz, dass Bewusstsein überall und alles ist. Der wissenschaftliche Name dafür lautet: „Panpsychismus“.
Tief in seinem Element ist Rupert Sheldrake, wo er über die Pflanzen schreibt. Es ist zu spüren, dass ihnen seine Liebe gilt, vor allem den Blumen. Eigentlich ist deren Schönheit nicht logisch und nicht zwingend vorgegeben. Warum, das beschreibt und begründet er. Seine Gedanken zu den Blumen und ihrer Umwelt sind inspirierend und regen dazu an, das große Leben im Kleinen zu entdecken und neu zu betrachten. Wenn alles von Bewusstsein erfüllt ist, so auch die Insekten. Nicht nur das: Rupert Sheldrake knüpft Verbindungen zwischen ihnen und ihrer Welt, die frisch und berührend sind. Vielleicht bekommen nun neben den Bienen auch die anderen Insekten, die von Blumen und Pflanzen angezogen werden, den ihnen gebührenden Platz im großen Ganzen anerkannt.
Pilgerreisen sind ein zentrales Element der großen Religionen, und Rupert Sheldrake liefert interessante Gedanken dazu, sogar mit einer Prise trockenem Humor, wenn er auf seine Heimat zu sprechen kommt, in der es uralte Pilgertraditionen gab, die mittlerweile wieder aktiviert worden sind. Seine Frage dazu lautet: „Was macht heilige Orte heilig?“ Spannend die Überlegungen dazu – da sich auch zeigt, dass diese Orte und Heilungsphänomene miteinander verknüpft sein können.
Am Schluss des Buches summiert der Verfasser seine Gedanken zur Rolle spiritueller Bräuche in der Gegenwart.
Jedes Kapitel beendet Rupert Sheldrake mit Anregungen, die dem Leser dabei helfen sollen, das, was er zuvor beschrieben und von verschiedenen Seiten her beleuchtet hat, selbst nachvollziehen zu können. Sie wollen Anregungen sein, und so bleibt es jedem, der das Buch liest, selbst überlassen, ob und wie sie oder er diese umsetzen möchte.
Ein Effekt beim Lesen und Nachsinnen könnte sein, dass sich ein Begreifen oder zumindest ein Ahnen davon einstellt, wie alles miteinander in diesem Kosmos verbunden ist – vom unendlich Kleinen hin zum unendlich Großen.
Einschätzung der Redaktion: Inspirierend, weitreichend & hochaktuell!
O.W. Barth, 288 Seiten, 19,99 Euro, Hier „Die Wiederentdeckung der Spiritualität: 7 Praktiken im Fokus der Wissenschaft“ direkt bei Amazon bestellen